Ein allseits erklärtes Ziel der Musikwiedergabe durch technische Geräte ist die "Neutralität".
Was allerdings genau darunter zu verstehen ist und wie eine neutrale Musikwiedergabekette nun "klingt", darüber bestehen sehr unterschiedliche Vorstellungen.
In diesem Zusammenhang hört man dann auch öfters Begriffe wie "ausgewogen" und "homogen". Diese Begriffe haben allerdings überhaupt nichts mit "Neutralität" im eigentlichen Sinne zu tun, sondern kennzeichnen eher gewünschte positive Eigenschaften des Gesamtergebnisses.
Eine neutrale Kette wird z.B. nicht ausgewogen klingen können, wenn die Quelle (Aufnahmetechnik) es nicht vorgibt.
Unter Umständen kann eine wirklich neutrale Kette sogar unausgewogener klingen als eine weniger neutrale Kette, nämlich immer dann, wenn bei einer Aufnahme von vornherein die durchschnittliche Unausgewogenheit der Wiedergabeanlage beim Endverbraucher mittels Vorverzerrung auskompensiert wird.
Neutralität der Wiedergabe bedeutet im eigentlichen Sinne die Nichtveränderung des Audiosignals durch die übertragenden Geräte.
Das bedeutet, daß im Optimalfall alle festgestellten Klangeigenschaften entweder der Quelle (Aufnahme) oder im Zweifelsfall anderen, nicht-neutralen Gerätschaften in der Kette zu zuordnen sind.
Maximale Neutralität bedeutet daher auch maximaler Realismus und Authentizität.
Begriffe wie "emotionslos", "lasch", "blutleer", "langweilig", "lustlos" oder ähnliche Prädikate, die man zuweilen in Verbindung mit vermeintlich "neutraler" Klangwiedergabe lesen oder hören kann, sagen eigentlich nur aus, daß die Kette eben nicht wirklich neutral ist.
Speziell bei Lautsprecherboxen gibt es eine Spezies, bei denen die vermeintliche Neutralität (= linearer Frequenzgang) durch massiven Entzerrungsaufwand in der Frequenzweiche oder massive Chassisdämpfung erreicht wurde, allerdings leider dann meistens unter Inkaufnahme verminderter dynamischer Fähigkeiten.
Zur Neutralität gehören neben statischer Linearität eben auch z.B. optimales Impulsverhalten.
Eine wirklich neutrale Kette (dazu sind übrigens auch unbedingt die Kabelverbindungen mit einzubeziehen) ist "schnell", "impulsiv", hat ein "anspringendes" Klangbild, wenn die Quelle es vorgibt und ist auch in der Lage, wenn erforderlich, schnell Druck im Tieftonbereich aufzubauen.
Allerdings erschließt sich "Neutralität" nicht auf Anhieb (wie auch?), sondern erst beim längeren Hören. Um den Grad der Neutralität festzustellen, ist es nämlich zwingend erforderlich, möglichst viele und möglichst unterschiedliche Aufnahmen zu hören und eventuelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu vergleichen.
Je mehr klangliche Unterschiede bei einzelnen Aufnahmen, bzw. sogar bei einzelnen Tracks innerhalb einer Aufnahme feststellbar sind, desto mehr kann man von Neutralität ausgehen.
Stellt man fest, daß die Anlage bestimmte Musikrichtungen preferiert, kann man schon nicht mehr von Neutralität reden. Neutralität ist nicht teilbar. Entweder alle Musikrichtungen, oder keine.
Erst wenn Heavy-Metal-Live-Konzertmitschnitte und Klassik-Darbietungen gleichermaßen authentisch reproduziert werden, kann man von Neutralität sprechen. Das ist übrigens durchaus kein Wunschtraum, sondern machbar.
Mit echter "Neutralität" ist nach unseren Erfahrungen auch immer per se eine gewisse "Offenheit", "Durchhörbarkeit", "Plastizität" und ausgedehnte "Räumlichkeit" verbunden.
Alle Eigenschaften, die man also gemeinhin mit einer guten Klangwiedergabe verbindet, findet man auch bei einer neutralen Klangwiedergabe.
Ein Effekt, der oft unverständlicherweise mit Neutralität in Verbindung gebracht wird, ist "Emotionslosigkeit", "Kaltlassen" oder "Nicht-Anmachen" oder das Fehlen des "Fuss-Wippens" bei Musikwiedergabe.
Das hat nun wirklich nichts mit echter Neutralität zu tun, im Gegegenteil. Neutralität sollte sich in diesem Zusammenhang immer auf die Wiedergabeeigenschaften der Kette und nicht auf die damit erzeugten Emotionen beim Hörer beziehen. Wenn beim Musikhören beim Hörer keine Emotionen ausgelöst werden, dann vielleicht gerade deswegen, weil die Wiedergabe nicht neutral, d.h. weniger authentisch ist.
Manch ein Verkäufer oder Besitzer derartiger Gerätschaften versucht sich und andere in diesem Fall dann mit dem Hinweis "Dafür klingt es aber sehr neutral!" zu trösten.
Das ist natürlich Unsinn. Es gibt eben keine Eigenschaften, die man direkt und eindeutig mit "neutral" in Verbindung bringen kann. Es ist das Wesen der Neutralität (jedenfalls in unserem vorliegendem Fall), daß es sich der Beschreibung durch Worte entzieht. Daher werden Beschreibungen und Tests von neutralen Gerätschaften auch immer etwas einsilbig und im Prinzip sprachlos ausfallen.
Es gibt eben nicht wirklich etwas zu beschreiben.